Essay über schlechten Kaffee
In einer beliebigen Stadt
Ich möchte einen Kaffee trinken. Ich trete ein. Die Tafel auf der Straße weist den Laden als Café aus. Innen weist eine weitere 1001 Variationen an Getränken aus. Ich suche nach Kaffee. Mein Blick wandert über die Topologie der Marketingbegriffe. Allen Begriffen ist eines gemein: Sie möchten, dass ich keinen Kaffee trinke. Das ist gemein. Ich finde dennoch einen. Schwenk nach links. Weiter! Noch weiter! Stop! Neben den ganzen Übergrößen glaube ich meine Destination gefunden zu haben. Kaffee klein!
Die Bedienung schaut mich mit einer Mischung aus Langeweile und Entrüstung an. Zumindest lese ich das aus Gesichtzügen, die keinen Raum für Interpretationen lassen.
„Da bestellt einer einen Kaffee. Einen kleinen.“ Das sagt sie nicht, aber denkt es so laut, dass ich verlegen zur Seite schaue. Überall Regale mit Büchern. Von den vielen Menschen, die sich hier auf bequemen Ohrensesseln oder Sitzkissen fläzen, hält keiner eins in den Händen. Alle starren auf ihre Smartphones.
Ich kann wieder nach vorne schauen. Die mich bedienende Person hat mir den Rücken zugekehrt. Noch bin ich guter Hoffnung. Eine anständige Siebträgermaschine nebst Mühle ziert den Tresen.
Kaffeepulver rutscht in den Siebträger, der Siebträger in den Halter, Wasser durch das Pulver in eine kleine, viel zu große Tasse. Ich will etwas sagen und schlucke es herunter, so wie ich das herunterschlucken werde, was hier als kleiner Kaffee bezeichnet wird. Vielleicht habe ich nicht aufmerksam geschaut, aber der gemahlene Kaffee wurde nicht getampert.
Ein Pot öliger Flüssigkeit wird über den Tresen geschoben. Auf seiner Oberfläche kräuselt das sanfte Ambiente der Industrieleuchten wie durch einen Instagram-Filter. Ich frage mich, wie das alles zusammenpasst.
In einer Ecke dieser Werkhalle mit Bibliotheksanschluss lasse ich mich nieder und denke ans Wetter.
Ziemlich schlechter Kaffee ist wie ziemlich schlechtes Wetter, scheiße.
Für lokal begrenzte auf das Gemüt schlagende Witterung gibt es Kleidung. Bei schlechtem Kaffee kleide ich lediglich mein Urteil in den fatalistischen Mantel gerechtfertigter Verdrossenheit.
Leider.
Es hilft ja nichts.
Der Umgang mit dem Umhang
Ein Umhang, der nicht mich, sondern andere schützt. Sogenannte sich in Umschreibungen verschleiernde, die Bezeichnung Barista zum Euphemismus transferierende Bohnenzerbröseler. Manche tun mir leid.
Manche.
Darum jammere ich diese Zeilen in meinen Blog. Will ja niemanden verletzen. Tränen, dicker als die Brühe, die sie beklagen trommeln auf Elektronen, geduldiger als ich. Vielleicht sind sie deshalb immer so negativ, die Elektronen.
Und ich.
Das Ikea-Syndrom
Wenn das Angebot Nachfrage generiert, nenne ich es das Ikea-Syndrom. Nah am Stockholm-Syndrom, aber anders. Im Ikea treffe ich auf Produkte, von denen ich bisher nicht wusste, dass ich ohne sie nicht sein kann. Ich sympathisiere mit meinen das Konto bedrohende Begehrlichkeiten. So in etwa stell ich mir das mit dem Kaffee vor. Kann nicht anders sein.
Von Anfang an
Am Anfang war Kaffee für viele wie dem Dalai Lama beim Meditieren zuzuschauen. Langweilig.
Das ist eine schlechte Metapher.
Beim Kaffee schläft man nicht so schnell ein. Also ist der Dalai Lama wie Kaffee ohne Wachmacher. Ich denke, wir können uns darauf enigen, dass der Dalai Lama entcoffeiniert ist.
Am Anfang war also der unformulierte Wunsch nach Mehr. Mehr als Kaffee. Die nächste Bewusstseinstufe war noch nicht erklommen, der Geist der konkreten Nachfrage waberte zum Greifen nahe durch die espressogeschwängerte Luft. Der nebulöse Wunsch hatte sich bei Kaffeetrinkerkollektiv noch nicht zu einem handfesten Bedürfnis manifestiert. War da nicht mehr als diese braune Substanz?
Mehr als Kaffee
Die Zeit der modernen Kaffeehaus-Ketten war geboren. Ich komme also auf das Ikea-Syndrom zurück. Um den Leuten etwas zu bieten, ersann man immer gewagtere Kreationen und Abwandlungen diabetesfördernder Lifestylegetränke mit Kaffee im Namen. Getränke, von denen Konsumenten noch gar nicht ahnten sie zu wollen. Alles in übermenschlichen Größen. Mehr Energie enthaltend als ein Mensch innerhalb seiner statistisch zu erwartenden Lebensspanne in der Lage ist zu verbrauchen. Mit den Bechern wuchsen auch die Menschen. Persona Venti.
Eine uns alle bekannte sich mit dem Namen eines aus dem Roman Moby Dick stammenden Charakters schmückende Kaffeehauskette verwendet sehr gerne italienische Bezeichnungen. Venti, italienisch zwanzig, bezeichnet einen Becher mit 20 Unzen Flüssigkeit . Das muss man erstmal schlucken! 592 ml!
Weniger als gut
Der Wunsch nach immer größeren, immer süßeren, sahnigeren Getränken war geboren. Angebot bestimmt Nachfrage bestimmt Angebot.
An all die vor einem riesigen weißgekrönten Berg Sitzenden und aufs Handy Starrenden: schlürft nur weiter Euren Gingerbread Toffee Nut Spice! Es ist nicht der Weisheit letzter Schluss, den ihr aus dem Strohalm saugt. Ihr hockt nicht meditierend vor dem Mount Everest der Kaffeekultur.
Wenn ich einen kleinen Kaffee möchte, möchte ich nicht an einer Wasservergiftung sterben.
Runterkippen und Raustraben
Noch einmal schaue ich auf mein Getränke-Geschirr. Wie ein Esel, der sich damit vor den Kaffeekarren hat spannen lassen, komme ich mir vor.
Ich stehe auf, gebe das Geschirr zurück und trabe durch den Laden. An der Tür drehe ich mich nach der Bedienung um. Unsere Blicke treffen sich. Für einen Moment habe ich den Eindruck, dass ihre Gesichtszüge ‚Hol mich hier raus‘ schreien. Kein Raum für Interpretationen.
Ich wende mich ab. Die Tür hinter mir fällt hart ins Schloss. Auf der Strasse ist es kalt. Die Werbetafel schaut mich verdrossen an. Ich stelle den Kragen auf und gehe.