Strasbourg, Vigneron Independant
Die Weinmesse, für viele eine heilige Messe, also dort, wo man Brot bricht, nachdem man zu viel Messwein getrunken hat, als Ort Sackkarren hinter sich her ziehender und das Gärtraubengebräu huldigender Pilgerer fand diese Woche in Strasbourg statt.
Dabei handelte es sich um die über die Grenzen des Wein-Hexagons beliebte „Vigneron Independant“. Auf dem Wendekreis dieser für alle Jünger der Sekt-Sekte der unabhängigen Winzer erste Anlaufstelle des roten und weißen Lebenssaftes steht der Alkohol für ganze drei Tage im Zenit. 90 Grad Oechsle.
Das Sekt-Sakrileg
Wir waren auch da und jetzt ist es an der Zeit, zu beichten: Ich kenne mich nicht aus. Es gibt Rotwein, es gibt Weißwein, dazwischen befindet sich irgendwo Rosé, bei dem ich immer der Meinung war, er sei kein „richtiger“ Wein. Daneben gibt es Champagner, also Crémant aus der Champagne und Crémant, also Crémant nicht aus der Champagne.
Die Terminologie der Wein Degustation ist mir nicht bekannt. Trocken, lieblich geht noch. Bei Brut dachte ich bisher, dass er einen brutal aus den Socken haut. Semi Brut vielleicht nur so halb. Ich trinke gerne schweren Rotwein, bei dem man sich nach jedem Schluck die Holzsplitter aus dem Gaumen ziehen muss.
Das ist also die Prämisse, mit der ich mich zusammen mit Freunden auf diese Messe wagte, um feststellen zu müssen, das andere Besucher es vielleicht nicht besser wissen als ich, aber dieser Tatsache mit viel Gestik und Melodramatik begegnen. Sie wirbeln umher, halten die Gläser ein oder zwei Anstandssekunden gegen das Licht und kippen sich den Stoff dann hinter die Lampe. Dann nicken sie interessiert, heucheln Kaufbereitschaft, gehen zwei Stände weiter und beginnen von vorne. Bei der zweiten Runde durch die Halle besuchen sie schließlich die bisher ausgelassenen Stände dazwischen. Man will ja Wissenslücken vermeiden.
Auf dem Altar des Zwecks wird jedes Mittel geopfert.
Alpha-Beten
Aber von vorne. Wir betreten die Halle. Jede Besucherin, jeder Besucher bekommt ein Weinglas in die Hand gedrückt. Einige tragen das Glas, damit sie die Hände frei haben (für Gestik oder Biergläser, ja, es gibt einen „Biergarten“) am Halsband. Das Accessoire für den modebewussten Trinker.
Im Zickzack Kurs geht es dann durch die dem Alphabet nach sortierten Gänge bis zum Buchstaben P. Wer jetzt noch am Anfang steht, kann abschätzen wieviel Reihen er oder sie noch vor sich hat. Wer nicht, wird vielleicht bald reihern. Vielleicht der Grund für all die herumstehenden Spuck-Eimer.
An den vier Ecken der Halle gibt es Point D’eau. Hier kann man sein Glas zwischendurch von all den Proben ausspülen. Toiletten gibt es auch. Da kann man sich selbst ausspülen. Dazwischen, Sandwich-Stuben, Bretzel-Buden, Schinken-Stände, Käse-Kaschemmen und der erwähnte Biergarten.
Es ist 16 Uhr und wir befinden uns noch in der ersten Phase, ich nenne sie Orientierung, bevor sie ganz verloren geht. Unter die Privaten mischen sich auch Chefs de Cuisine. Immer auf der Suche nach dem nächsten Großen Ding der Weinwelt.
An einigen Ständen bilden sich Menschentrauben (verstehste Trauben) Hier scheint der Tropfen besonders süffig zu sein. Ahh, süffig, noch so ein Wort, bei dem ich nicht weiß, ob es zum Bier oder zum Wein passt.
Ich habe nur ein Problem: Im Französischen ist mein Wein-Wortschatz noch beschränkter. Aber ich habe gelernt. Ich schaue interessiert, lasse mir einschenken, halte das Glas in die Höhe und proste mir und meiner Verschlagenheit innerlich zu. Dann murmele ich etwas, was sich nach Anerkennung anhört, mache Kringel auf einem Zettel und trete unter Kopfnicken im Rückwärtsgang langsam die Flucht an.
Wein laden auf den Weinwagen
Die zweite Phase, die heiße Phase hat begonnen. Einige Stände bieten zu diesem Zeitpunkt keine Proben mehr an. Der Break even Point ist erreicht. Der Punkt ab dem jeder ausgeschenkte Tropfen das Fass den wirtschaftlichen Boden ausschlagen würde. Man muss auch mal was verkaufen.
Und oh ja, man kann kaufen. Ich kaufe eine einzelne Flasche und komme mir doof vor. Andere ziehen Wägelchen hinter sich her. Man kann sie mieten, die Wägelchen. 1 1/2 Stunden frei, jede weitere 5 Euro. Wieviel kann man denn nicht unter 90 Minuten kaufen?
Um 18 Uhr treten wir den Rückzug an.
Wir wollen noch was essen gehen
nach dem ganzen Messen sehen.
Noch einen Happen fassen,
den Wein, ab sofort lassen,
ich hoff nicht in Strasbourgs Gassen.
Nein, schlecht ist mir nicht, aber schlechte Limericks sind auch ein Grund dem Wein zu entsagen. Also gehen wir ins Piano Grill. Unser Tisch ist für 19 Uhr reserviert um 18:45 Uhr stehen wir im Restaurant und werden gebeten, dieses zu verlassen um in 15 Minuten noch einmal wiederzukommen.
Ich erwarte schlechtes Management und schlechtes Essen. Meine Erwartungen werden enttäuscht. Das Essen ist grandios, das Personal witzig und gastfreundlich und wir verbringen einen netten Abend mit Burger und Risotto in den Straßen Strasbourgs.
Und sonst so?
Strasbourg ist eine schöne Stadt. Die Hauptstadt des Elsass eignet sich immer mal wieder für einen Tagesausflug. Mit dem Auto ist man in 50 Minuten da. Diesmal übernachten wir aber aus überzeugenden Gründen hier. Ich bin so semi-brut. Unser Hotel befindet sich in direkter Nachbarschaft zum Europaparlament und dem Arte-Sendehaus. Wir spazieren am Seitenarm des Rheins entlang. Das Wetter spielt uns mit. Wir sehen den Giraffenmann und gehen weiter und sehen noch ein paar andere Dinge und gehen noch weiter. Aber nicht weit genug um darüber zu schreiben. Deswegen ist an dieser Stelle Schluss.