Dit is Berlin …
Jeder für sich und Gott gegen alle
Was haben 157852800 Sekunden, 2630880 Minuten, 43848 Stunden und 1827 Tage gemeinsam? Wie ich es multiplizier oder dividiere, es bleiben 5 Jahre. Wer jetzt moniert, das seien 1825 Tage, der hat zwei Schalttage vergessen. Oder ich hab mich verrechnet.
Was soll’s? Lass gehen …
Nach 5 (fünf) Jahren jedenfalls wird es mal Zeit zu gucken, ob Berlin so ist, wie es uns verlassen hat. Manchmal glaube ich nämlich, es war so rum. Es hat uns in seiner falschen Großmut entlassen, nachdem ich zuvor so oft scheiterte auszubrechen. Oft spürte ich den Asphalt an meinen Beinen ziehen, zäh wie Kaugummi, auf den man trat, wenn man Glück hatte, und nicht auf die Hundescheisse. Von der Stelle kam ich nie.
Kam mir gefangen vor wie ein Haus zwischen lauter Plattenbau oder wie Kasper Hauser, wenn wir schon dabei sind. Ein Findelkind, dass sich Kratz- und Stichwunden holt.
Unser Hotel nennt sich Motel One (eines von vielen in Deutschland und der Welt) und befindet sich am Bahnhof Zoo. Das hört sich schlimmer an als es sein könnte. Eingekeilt zwischen Ku’damm und Budapester Str., flankiert von Waldorf Astoria, Bikini Berlin und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, dem hohlen Zahn wie man sie nennt, haben wir aus dem 16. Stock unseres Hotelzimmers einen super Blick über die Stadt. Zu flach, hat mir eine Bergsteigerin gesagt. Stimmt, Berlin war schließlich mal Sumpfgebiet und ist immer noch nicht ganz trocken. Hauptsache Champagner fließt.
Die S-Bahn verkehrt mal wieder nicht regelmäßig. Dit is Berlin. Macht nichts, wir wollen sowieso alles lieber zu Fuß begehen. Charlottenburg (unser alter Kiez), Wilmersdorfer, Savignyplatz und Bahnhof Zoo sowieso. Daneben Amerika Haus, Ernst-Reuter-Platz. Auf einen Kaffee ins Caras, wie damals. Dann durch den Tierpark zur Friedenssäule, einen Strahl des Kreisverkehrs nehmend Richtung Brandenburger Tor. Das sieht immer noch so klein aus. Überhaupt, denke ich und bleibe stehen, Berlin ist irgendwie kleiner, als ich es in Erinnerung hatte.
Unser erstes Highlight dann hinter Brandenburger Tor und Pariser Platz. Dussmann auf der Friedrichstrasse. Göffnet Mo-Fr 9:00 – 24:00 Uhr, samstags von 9 bis 23:30 Uhr. Hier habe ich damals oft auf dem Heimweg von meiner Arbeit am Alexanderplatz Stopp gemacht. Eine riesige Buchhandlung über 5 Etagen (ich mag mich verzählen). Dussmann- das KulturKaufhaus eben, wie es sich selbst nennt.
Mit einem Kulturbeutel voller Bücher verlassen wir Dussmann und gehen Richtung Potsdamer Platz. Zu Berlinale Zeiten der Ort an dem sich die roten Teppiche vor lauter VIPs und Promis regelmäßig überschlagen. Und jetzt? Nix los. Die Kinemathek verlässt das Sony Center und öffnet 2025 im E-Werk ihr Zwischenquartier. Bis zur Fertigstellung des geplanten Filmhauses. Unweigerlich muss ich an den Flughafen BER denken, an die S-Bahn, an die Dauerbaustellen der Stadt, die Kaugummis auf den Gehwegen, die Hundescheisse. All das. Aber die wirklich schlechte Nachricht ist die Schließung der ständigen Filmausstellung, will sagen ständige Schließung. Ganz großer Mist.
Ich hab den Potsdamer Platz und das Sony Center geliebt. Mal sehen, was draus wird. Nach mehrmaliger Verschiebung soll die große Rundumsanierung im Sommer 2024 abgeschlossen sein. Während ich das schreibe fallen vor meinem Fenster die ersten Blätter vom Baum.
Heute laut GPS meiner Uhr 20,7 km gelatscht. Das reicht. Zurück zum Hotel nehmen wir die U-Bahn und ich bin mal wieder froh einen schlechten Geruchsinn zu haben.
Am nächsten Tag wollen wir unseren Hochzeitstag feiern. Hier haben wir vor 9 Jahren geheiratet. Museumsinsel, Tierpark, Spree. Wir stellen die Fotos von damals nach.
Abends haben wir einen Tisch im NENI reserviert. Über den Dächern Berlins. Voll der Hype. Aber um Nichts, stellt sich schnell heraus. Aussicht besser als das Essen. Na ja, dann beim nächsten Mal vielleicht doch lieber Döner.
Berlin, es heißt Abschied nehmen. Es war schön, aber noch viel schöner ist es wieder nach Hause zu fahren. Der Hauptbahnhof ist die perfekte Allegorie Berlins. Gerammelt voll und jeder zieht Gepäck hinter sich her, von einem Gleis zum anderen. Zielloses Geschubse und Gedränge.
„Jeder für sich und Gott gegen alle.“ In Berlin ist irgendwie jeder ein bisschen Kasper Hauser.